20 März 2009

»Sizilianisierung der Gewinne«

Das Gaunerstück um die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe jährt sich 2009 zum zehnten Mal. Der SPD-Linke-Senat tritt verbal für die Rekommunalisierung ein. Unternommen hat er bislang nichts

Von Jörn Boewe

»Die Koalition setzt sich für die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) ein«, heißt es in der Koalitionsvereinbarung von Berliner SPD und Linkspartei vom Herbst 2006. Der- Passus fand nicht von ungefähr Eingang in den Vertrag: Die 1999 von der damaligen Berliner großen Koalition aus CDU und SPD vorgenommene Teilprivatisierung der vormals öffentlichen Wasserwerke hatte den Berlinern innerhalb weniger Jahre Wasserpreise eingebracht, die zu den höchsten im Vergleich mit anderen deutschen und europäischen Großstädte gehören.

Der Preise gingen nach oben, nachdem CDU und SPD 49,9 Prozent der Landesanteile an den BWB an eine Beteiligungsgesellschaft (»BB-AG«) der transnationalen Konzerne RWE und Veolia verkaufte. Treibende Kraft war dabei nicht die CDU, sondern die SPD in Gestalt ihrer damaligen Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing. Durch die Privatisierung sollte nicht nur frisches Geld in die Landeskasse kommen. Die Dienstleistungen sollten auch besser und billiger werden.

Damit die beiden Konzerne kein unternehmerisches Risiko eingehen mussten, garantierte ihnen das Land Berlin eine Mindestrendite: »Als angemessene kalkulatorische Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals gilt die durchschnittliche Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen in einem Zeitraum von 20 Jahren, die der jeweiligen Kalkulationsperiode vorausgehen, zuzüglich zwei Prozentpunkte«, (»r+2 Prozent«) wurde ins Teilprivatisierungsgesetz geschrieben.

Eine investorenfreundliche Regelung: Egal wie die Geschäfte laufen würden – ein Gewinn zwischen sechs und neun Prozent war für drei Jahrzehnte garantiert. Notfalls, so verpflichtete sich der Senat, würde Berlin ihn eben aus dem Landeshaushalt zahlen.

Die Wirtschaftskanzleien, von denen sich das Land Berlin und seine privaten »Partner« Vertrags- und Gesetzentwurf schreiben ließen, gingen auf Nummer sicher: Sollte irgendetwas dazwischen kommen, was den vereinbarten Gewinnanspruch der Investoren schmälern könnte – Gesetz, Verfassung, höchstrichterliches Urteil - wäre das Land Berlin verpflichtet, nach Mitteln und Wegen zu suchen, den privaten Anteilseignern, die einmal abgemachte Rendite irgendwie dennoch zukommen zu lassen.

Diese »Nachteilsausgleichsklausel« war geradezu prophetisch. Schon 1999 erklärte der Berliner Verfassungsgerichtshof die Renditegarantie von »r+zwei Prozent« für verfassungswidrig. Gekündigt wurde der Vertrag vom Land deswegen nicht. Vier Jahre blieben die Dinge in der Schwebe, dann fand die neue Berliner Mitte-Links-Regierung eine kreative Lösung. Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke), der Ende der 90er Jahre als Oppositionsführer im Abgeordnetenhaus noch einer energischsten Gegner der Teilprivatisierung war, ließ Vertrag und Gesetz insoweit verändern, daß den Privaten seither dank einer günstigeren Abschreibungsmethode und qua amtlicher Verordnung der Verzinsung ihres Kapitals »die Nachteile in vollem Umfang« ausgeglichen werden.

Frau Fugmann-Heesing ist seit 2002 als »selbständige Unternehmensberaterin« tätig, und berät Kommunen dabei, ihr Tafelsilber an Finanzinvestoren zu verschleudern. Daß sie immer noch ein Mandat im Abgeordnetenhaus von Berlin innehat, dürfte ihr dabei zugute kommen. Zur Ehrenrettung der SPD muß man hinzufügen, daß eine der scharfsinnigsten und hartnäckigsten Kritikerinnen der BWB-Privatisierung ebenfalls das rote Parteibuch in der Tasche trägt: Die frühere Abgeordnete Gerlinde Schermer vom linken Parteiflügel charakterisierte den Berliner Wasser seinerzeit treffend: Es gehe nicht um die Sozialisierung von Verlusten und die Privatisierung von Gewinnen, sondern um die »Sizilianisierung von Gewinnen«. (Gerlinde Schermer verlor ihr Mandat 1999, weil sie nach Worten ihres SPD-Kreisverbandschefs Frank Lewitz "permanent Politik gegen ihre eigene Partei" gemacht hatte.)

Mittlerweile haben die Berliner im Vergleich nicht nur mit die höchsten, sondern auch die am schnellsten steigenden Wasserpreise. Nach Berechnungen des ATTAC-Wasserexperten David Hachfeld haben sie sich in der Hauptstadt von 2000 bis 2005 um 20,7 Prozent erhöht, im Bundesdurchschnitt dagegen nur um acht Prozent. Zugleich sind – aufgrund des vereinbarten »Nachteilsausgleichs« - die Gewinne der BWB zwischen Privaten und öffentlicher Hand immer »disproportionaler« verteil worden: Während das Land Berlin zwischen 1999 und 2007 423,5 Millionen Euro einnahm, hätten die Investoren 949,9 Millionen kassiert, so Hachfeld: 69,1 Prozent für die Privaten, 30,8 Prozent für die Kommune.
Mittlerweile gilt die Teilprivatisierung der BWB in der Hauptstadt weithin als Mißerfolgsgeschichte. Nicht nur die Regierungsparteien SPD und Linke, auch die oppositionellen Grünen sprechen sich für eine Rekommunalisierung aus. Wie jedoch kommt man aus einem derart perfiden Vertragswerk halbwegs glimpflich heraus?

In einer im Mai 2008 veröffentlichten Studie legt Hachfeld denkbare Szenarien dar. Erstens wäre es möglich, die Berliner Verfassung (per Parlamentsbeschluß oder Volksentscheid) so zu ändern, daß die Wasserversorgung komplett zur öffentlichen Aufgabe erklärt würde. Damit könnte ein »wichtiger Grund« zur außerordentlichen Kündigung vorliegen. Allerdings wäre das Land mit einer Klageflut seitens der Investoren und einem erheblichen Prozeßrisiko konfrontiert. Zweitens könnte sich der SDP-Linke-Senat auf den Standpunkt stellen, die Verträge seien aufgrund teilweise sittenwidriger Passagen nichtig. Der Umgehungsparagraph 23.7, der allein zu dem Zweck konstruiert wurde, ein mögliches, und dann tatsächlich ergangenes, Urteil des Verfassungsgerichts auszuhebeln, könnte ein solcher Ansatzpunkt sein. Drittens: Das Land könnte mit den Privaten in Verhandlungen über einen Rückkauf eintreten. Und schließlich könnte der Senat gemäß Artikel 15 (1) des Grundgesetzes »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel (...) zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz ... in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft« überführen.

All diese Optionen sind aber undurchführbar, ohne zur Konfrontation mit den privatkapitalistischen Interessen der Investoren und ohne Mobilisierung der Bevölkerung. Dazu fehlen SPD und Linkspartei in Berlin ganz offenkundig politischer Wille und Courage. Das Mindeste aber, was dieser Senat tun könnte und müßte, wäre die sofortige, ordnungsgemäße Kündigung des Vertrages. Auch wenn diese erst 2029 wirksam würde, verpflichtet die Vereinbarung alle Beteiligten »unverzüglich ... Verhandlungen über eine einvernehmliche Abwicklung ... aufzunehmen.«

links:

David Hachfeld: Die Berliner Wasserbetriebe rekommunalisieren - aber wie?

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