15 Oktober 2008

Lobbyisten weiter fest im Sattel

Regierungsrichtlinie zur Begrenzung des Einflusses »externer Mitarbeiter« wird nur zögerlich umgesetzt

Von Jörn Boewe, jW 15. Okt. 2008

Die Rolle von Lobbyisten in den Bundesministerien ist, trotz eines geringfügigen quantitativen Rückgangs, nach wie vor erheblich. Eine im Sommer von der Bundesregierung beschlossene Verwaltungsrichtlinie, die den Einfluß von Interessengruppen auf politische Entscheidungen begrenzen soll, werde »nicht strikt umgesetzt«, heißt es in einer Erklärung der Organisation Lobbycontrol vom Dienstag. Nach der Richtlinie muß die Regierung halbjährlich einen Bericht zum Einsatz von Lobbyisten vorlegen. »Unsere Nachprüfungen haben gezeigt, daß es dringend nötig ist, der Bundesregierung auf die Finger zu schauen.« So habe das Bundesinnenministerium der Organisation gegenüber eingeräumt, daß der jüngste Bericht »an einer von uns benannten Stelle unvollständig ist«. Auch habe das Bildungsministerium einen Mitarbeiter des VDI-Technologiezentrums nicht aufgeführt, der im Frühjahr dort tätig war.

Nach Informationen von Lobbycontrol ist seit August 2008 die Leiterin des Vorstandsbüros der Berliner Wasserbetriebe für ein halbes Jahr im Entwicklungsministerium im Referat »Wasser; Energie; Stadtentwicklung« eingesetzt. An den Berliner Wasserbetrieben halten die Großkonzerne RWE und Veolia 49,9 Prozent der Anteile. Beide Konzerne sind international in Privatisierungsprojekten im Wasser- und Energiesektor aktiv. Außerdem profitiert der Mutterkonzern der Berliner Wasserbetriebe, die Berlinwasser Holding AG, von Mitteln aus dem Haushalt des Entwicklungsministe­riums. »Eine solche Überschneidung mit den Geschäftsinteressen der entsendenden Unternehmen ist nach der neuen Richtlinie verboten«, betont Lobbycontrol.

Unverändert sei die direkte Mitarbeit in den Ministerien »für finanzstarke Wirtschaftsinteressen« ein »privilegierter Zugang zur Politik«, schreibt die Organisation weiter. Von den 58 im Regierungsbericht aufgelisteten Fällen habe man 18 »Unternehmen und Wirtschaftsverbänden« zuordnen können, nur einen dagegen einer Gewerkschaft.

Angesichts dieser »fortgesetzten undemokratischen Einflußnahme« fordert Lobbycontrol, »die Mitarbeit von Lobbyisten in den Ministerien ganz zu beenden«.

31 Mai 2008

Das Prinzip PPP

Selbstbedienungsladen Staat: Werner Rügemer hat ein Buch zur »Public Private Partnership« vorgelegt

Von Jörn Boewe, jW 31. Mai 2008

Privatisierungen öffentlicher Güter sind in den vergangenen zwei, drei Jahren ein bißchen in Verruf gekommen. Die »Public Private Partnership« (PPP) aber wird von den politischen Eliten hierzulande weiter als Heilsweg aus der Staatsverschuldung propagiert, im schwarzen Bayern nicht viel anders als im »rot-roten« Berlin. Das PPP-Prinzip ist einfach. Der Staat überträgt eine Aufgabe, die er bislang in Eigenregie und auf eigene Rechnung ausführte, an einen privaten Investor. Dies kann der Bau und Betrieb einer Schule oder eines Gefängnisses sein, ein öffentliches Nahverkehrsnetz oder ein System zur Parkraumbewirtschaftung. Der Investor erhält dafür vom Staat eine gewisse Summe, üblicherweise zahlbar in Raten, verteilt über den vertraglich festgesetzten »Lebenszyklus« des Projekts, aber selten mehr als 30 Jahre, was bei öffentlichen Gebäuden ein Witz ist, weil die länger halten sollten. PPP-Befürworter versprechen »Effizienzvorteile« von bis zu 25 Prozent. Nachprüfen kann man das kaum. Kalkulationen und Verträge werden geheimgehalten. Selbst vor den Abgeordneten, die ihnen zustimmen sollen.

Werner Rügemer hat nun die erste systematische PPP-Analyse in deutscher Sprache vorgelegt. Akribisch hat er Zahlen und Fakten über Projekte in Großbritannien und der BRD zusammengetragen, was eine substan­tielle Kritik an den Glaubenssätzen der »PPP-Sekte« (Rügemer) ermöglicht.

Als die PPP-Welle um die Jahrtausendwende ins Rollen kommt, erweisen sich herkömmliche Geschäfte für »Großaktionäre, Unternehmer, Topmanager, Pensionsfonds, Versicherungen«, die »im Geld schwimmen und neue Anlageziele suchen«, wie Rügemer aus der Wirtschaftswoche zitiert, »als zunehmend riskant. Die öffentliche Infrastruktur erweist sich als neue Alternative.« Private Interessengruppen wie die Bertelsmann-Stiftung bereiten strategische Konzepte vor. Regierende Mitte-Links-Parteien – unter Tony Blair und Gerhard Schröder – sind auf der Suche nach einem »nachhaltigen« Modernisierungsprojekt, das es ihnen erlaubt, am ganz großen Rad mitzudrehen.

Nach Blairs Wahlsieg 1997 (»Die traditionelle Finanzierung von Labour durch die Gewerkschaften fiel weg, Blair warb Spenden praktisch nur noch bei Privatunternehmen ein«) sollte die Londoner U-Bahn saniert werden. Die Regierung vergab den Betrieb der »tube« – gegen den erfolglosen Widerstand der Stadtverwaltung unter Bürgermeister Ken Livingston – für 30 Jahre an zwei private Konsortien. »Es wurde vereinbart, daß die beiden Firmengruppen die 275 Stationen, das Streckennetz, die Tunnel, Depots, Signal- und Gleisanlagen erneuern und bis 2032 in Schuß halten.« Dafür sollten die »Investoren« von der Stadt einen Betrag von »etwa« 44 Milliarden Euro erhalten, zahlbar in monatlichen Raten, über einen Vertragszeitraum von 30 Jahren. Gegenüber einer Eigensanierung durch die Stadt sollte dies laut Blair eine Ersparnis von 17 Prozent bedeuten. Mittlerweile fährt in London die teuerste U-Bahn der Welt einfache Fahrt: sechs Euro). Metronet, das größere der beiden Betreiberkonsortien, hat 2007 Insolvenz angemeldet. Sämtliche Schulden trägt der Staat. Wie teuer das Ganze am Ende wird, weiß niemand.

In der BRD wurde PPP unter Schröder/Fischer zur veritablen Option. Im September 2002 stieg der Bund in das »Toll Collect«-Geschäft ein. Ein Konsortium aus Telekom, DaimlerChrysler und dem französischen Konzern Cofiroute sollte bis Ende August 2003 ein System zur Kassierung von entfernungsabhängigen Mautgebühren für LKW installieren und zwölf Jahre lang betreiben – gegen ein monatliches Entgelt aus den Mauteinnahmen. Der Vertrag umfaßt 17000 Seiten und »ist für die Öffentlichkeit, aber auch für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages bis heute eine Black Box«. Details, die bekannt wurden, weil das Konsortium den Fertigstellungstermin um 16 Monate verfehlte, sind aufschlußreich: Dem Bund entgingen Einnahmen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro, als Kompensation entrichtete Toll Collect 240 Millionen Euro Schadensersatz.

Rügemer nimmt auch einige kleinere Projekte unter die Lupe. Im Landkreis Offenbach betreibt ein privates Konsortium 90 Schulen. Vor PPP gab der Landkreis etwa 30 Millionen Euro pro Jahr für die Schulen aus, mittlerweile ist es das Doppelte, »mit steigender Tendenz«. Bei einem in PPP-Manier reformierten Bildungszentrum in Frankfurt/Main wunderten sich Lehrer und Schüler nicht schlecht, als der Betreiber plötzlich Parkgebühren verlangte: »ein Euro pro angefangenene Stunde«.

Schnöde Wirtschaftskriminalität ist nichts als »privat vorgezogene Deregulierung unter Umgehung des Strafgesetzbuches«, wie Rügemers Mitkämpfer im Verein »Business Crime Control«, Hans See, einmal schrieb. Bei PPP handelt es sich um professionell eingefädelte Deals zur Ausplünderung öffentlicher Kassen unter juristisch unanfechtbarem Ausschluß des Bürgerlichen Gesetzbuches. Ein Trick der internationalen Wirtschaftskanzleien ist dabei die »Forfatierung mit Einredeverzicht«: Der private »Partner«, der das Projekt vorfinanziert hat, verkauft seine Forderungen gegenüber der öffentlichen Hand an ein privates Finanzinstitut. Der Staat hat nun keinen »Anspruchsgegner« mehr, gegenüber dem er seine Rechte als Mieter geltend machen könnte, verzichtet also »z. B. auf Mietminderung bei Schlechtleistung«. Berater, die die Verträge ersonnen haben, haften nur für »vorsätzliche« Falschberatung. »Sie wissen: Der Staat wird zahlen, und wenn er dafür die steuer- und gebührenzahlenden Bürger, vor allem die abhängig beschäftigten Lohn- und Gehaltsempfänger noch stärker schröpfen oder zu noch niedrigerer Entlohnung zwingen muß als bisher.«

Kräfte, die dem entgegenwirken, sieht Rügemer weniger bei der auf Mitgestalten ausgerichteten Linkspartei. Er widmet sein Buch »den streikenden Lokführern 2007: Sie kämpften diszipliniert und umsichtig für ihre Rechte und unsere Sicherheit, sie ließen den Privatisierungsgang der Bahn stocken, sie rüttelten am Schlaf der Nation, der Arme und Reiche häßlich vereint«.

Werner Rügemer: »Heuschrecken« im öffentlichen Raum - Public Private Partnership. Anatomie eines globalen Finanzinstruments. Transcript Verlag, Bielefeld 2008, 169 Seiten, 16,80 Euro